Große Zinne


4.30 Uhr. Aufstehen. Draußen leuchtet noch der Mond. Der Bauch kribbelt. Heute ist es soweit, heute wollen wir sie besteigen: die Große Zinne. Ein Lebenstraum für uns, eine Herausforderung, vor der wir ehrlichen Respekt haben.

Frühstück im Schein der Stirnlampen. Schuhe schnüren, Aufregung runterschlucken. Okay, wir machen das jetzt.

Vor der Hütte wartet unser Bergführer Herbert. Handschlag, Lächeln. Er kann das oder? Hunderte Male war er schon oben. Gut. Beruhigend. Wir ziehen Helm und Gurt an, binden die Selbstsicherung fest und los geht’s.

Bis zum Wandfuß der Zinne stapfen wir leicht und flott. Durch Geröll und Schotter, kein Problem. Über der Cadini-Gruppe färben sich die ersten Wölkchen rosa, es ist noch Menschenleer und still. Unwirklich schön.

Dann ist sie direkt vor uns: die Südwand der Großen Zinne. Mehr als 700 Meter Fels, die senkrecht in den Himmel ragen. Dort wollen wir hinauf. Die erste Hand sucht noch unsicher Halt am kühlen Stein, das Herz rast. Atmen.

Stück für Stück gewinnen wir Sicherheit. Der Fels ist griffig, immer wieder finden wir gute Schuppen, breite Tritte. Das Klettern macht Spaß, fällt uns leicht. Bald spitzt die Sonne um die Wände, goldene Strahlen.

Die schwierigste Stelle der Tour erreichen wir schnell. Ein glatter Kamin, kurz stockt der Mut. Aber gesichert am Seil von oben gelingt die Crux, wir schieben uns durch. Kraxeln höher, treten, greifen, treten, greifen.

„Da ist das Kreuz.“ Jos Satz lässt mich (Sanne) jubeln. Noch 20 Meter, zwei Mal hoch ziehen, ein Absatz. Geschafft!!!

Wir stehen ganz ganz oben. Am Gipfel der Großen Zinne. Auf 2.999 Metern Höhe. Freudentränen. Stolz. Glück. Tiefe Zufriedenheit. Das Gefühl ist nicht in Worte zu fassen.

Unter uns tanzen einzelne Wolken um die Felsen, über uns ist nur die Sonne. Unser Blick reicht weit, unzählige Gipfel, Täler. Wir sind so klein hier oben. Ein Moment, der alles andere unwichtig erscheinen lässt. Unvergesslich, für immer.

Pause. Verarbeiten. Beruhigen. Und dann der Abstieg. Runter. Steil. Ausgesetzt. Brüchig. Schnell ist klar: das bringt uns psychisch ans Limit. Der Kopf streikt, wenn wir geradeaus ins Nichts über eine Felskante klettern sollen. Und wo geht hier überhaupt ein Pfad?? Atmen, mehr als einmal müssen wir uns daran erinnern.

So entspannt der Aufstieg lief, so nervenaufreibend wird der Weg nach unten. Die Abseilstellen sind noch am einfachsten. Ferse setzen, stützen, Hände vor, schieben. In so steilem Gelände sind wir noch nie abgeklettert, wir kommen teils an unsere Grenzen.

Zum Glück ist irgendwann der letzte Vorsprung überwunden. Die Füße erreichen die Ebene, die Knie wackeln. Aber: Jetzt ist es wirklich soweit – wir haben gemeinsam die Große Zinne bestiegen. Ein Höhepunkt unserer Tour. Ein Lebenstraum, den wir uns heute erfüllt haben. Danke!